Viragierung

Schon Stummfilme waren meist farbig, lange vor der Erfindung des Farbfilms. Die frühen Filmemacher verwendeten Viragierungen, einfarbig gefärbte Szenen, deren Farbe bestimmte Stimmungen suggerierte: etwa Blau für nächtliche Außenszenen und Rot für Leidenschaft. Beispielsweise in der jüngsten, gründlich restaurierten Version von Nosferatu werden Murnaus Farbvorstellungen wieder deutlich.

Lange vor der Erfindung des Farbfilms Mitte der Dreißigerjahre sahen nur wenige vorgeführte Stummfilme schwarzweiß aus: Üblich waren schon früh Viragierungen, Szenen, die in einer einheitlichen Farbe eingefärbt wurden, um die Wirkung der Stimmung oder des dramatischen Höhepunktes zu verstärken. Allerdings verloren die Negativstreifen durch häufiges Abspielen allmählich ihre Farbgebung, sodass später der Eindruck entstand, sie seien immer schwarzweiß gewesen.

Die Regisseure einigten sich damals weitgehend auf bestimmte Farbcodes: Blau für nächtliche Außenszenen, Sepia für nächtliche Innenszenen, Violett für dramatische Nachtszenen, Orange für Szenen im Lampen- oder Kerzenschein. Rot markierte Leidenschaft, Gewalt und Verruchtes, Rosa bedeutete Freude, Ausgeglichenheit, Frieden und seelische Verfassungen. Aus dramaturgischen Gründen erfolgte gelegentlich ein Farbwechsel auch innerhalb einer Szene.

Technisch gab es verschiedene Methoden für Viragierungen: Farbbäder, chemische Tönungen durch Umwandlung der Silberpartikel in andersfarbige Kupfer- Uran- oder Eisenverbindungen oder Verwendung von Filmmaterial mit bereits eingefärbter Trägerschicht. Möglich waren auch sehr zeitaufwändige und kostspielige Kolorierungen Bild für Bild per Hand mit Hilfe von Schablonen. Diese Mühe machten sich bereits die ersten Filmschaffenden beispielsweise bei Blumensträußen in sehr kurzen Filmchen, ein berühmtes Beispiel aus der Glanzzeit der Stummfilme ist die rote Fahne in Sergej Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin, die von den meuternden Matrosen im Moment des Sieges hochgezogen wird.

Murnau brauchte für seinen Nosferatu schon deshalb Viragierungen, weil nächtliche Dreharbeiten 1921 technisch kaum zu bewältigen waren, der Vampir aber auch nicht am helllichten Tage draußen herumspazieren konnte – schließlich verbringt er seine Tage ja im Sarg und zerfällt am Ende bei Sonnenaufgang zu Staub. Da die Originalversion aufgrund eines Gerichtsurteils zur Urheberschaft vernichtet worden war, kursierte lange nur eine schwarzweiße Version, später verwendeten die Restauratoren verschiedene vermutete Viragierungen. Erst als Mitte der Achtzigerjahre eine viragierte Kopie der ersten französischen Fassung wiedergefunden wurde, kannte man auch die ursprünglichen Farben des Originals. In der jüngsten Fassung von Nosferatu aus den Jahren 2005/06 sind die Nachtszenen wieder türkis-grün, die Dämmerung ist pink und die Szenen bei Tageslicht oder in beleuchteten Innenräumen sind gelb. Ins Auge sticht geradezu die orangerot eingefärbte Symbolszene mit der Venusfliegenfalle, die ihr Opfer vernichtet.

1. Viragierung und Farbwirkung


  1. Im Folgenden können Sie mehrere Einstellungen einer längeren Sequenz aus dem Film Nosferatu selbst viragieren. Erstellen Sie eine eigene Version, indem Sie alle Einstellungen nach eigenem Belieben einfärben.

  2. Vergleichen Sie Ihre Version mit der Originalfassung. Beschreiben Sie im Notizfeld, wie beide Fassungen auf Sie wirken.

  3. Entnehmen Sie dem Einführungstext, welche Farbe im Original wofür verwendet wurde. Erläutern Sie im Notizfeld, ob und wenn ja, inwiefern sich die mit den Farben verbundene Symbolik im Vergleich zu heute gewandelt hat.



Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (unviragiert), 1922, TC: 00:59:24 - 01:22:41

Viragierte Originalfassung,
TC: 01:08:57 - 01:09:43